biologische Katastrophe [Männertraum]
Wie könnte sie heissen? Paula vielleicht. Allerdings ist 'Paula' kein sehr typischer Name für Frauen ihrer Generation; Endsechziger. Da hiessen die Mädchen Anja und Martina und Susanne und Birgit und Heike und manchmal Simone.
Ich mag aber 'Paula'. Also heisst sie Paula, und man könnte sie dann auch mal 'Paulchen' nennen, die Verkleinerungsform, weil sie körperlich nicht sehr gross ist, einsdreiundsechzig etwa, und eine männliche Form, weil sie in der Kneipe manchmal wie ein wilder Kerl den Tequila in sich rein. Und ziemlich schnell besoffen wird und dann schonmal die Treppe runter, aber das ist eine andere Geschichte.
Paula also, Paulchen. Paulchen macht einen Job in einem Bereich, indem der Frauenanteil derzeit etwa 13% beträgt. Eine Minderheit. Ein Job, mit dem viele immer noch Dinge in Verbindung bringen wie Bringdienst-Pizza und literweise Cola, viel Kaffee und viele Zigaretten. Ziemlicher Schwachsinn, in ihrem Team von zwanzig Leuten rauchen gerade mal drei, viele haben es aufgegeben. Bei ihr zu Hause liegen schonmal leere Pizzaschachteln rum, na gut. Kaffee und Zigaretten auch, ja, zuviel davon vielleicht. Aber Cola überhaupt nicht. Weinbrand nämlich nur im Kaffee, nie in Cola, und Cola pur geht gar nicht.
Eigenbrötlerisch und freakig, wie man das Leuten ihrer Branche nachsagt, ist sie nicht wirklich, vielleicht ein wenig seltsam, etwas komisch, etwas merkwürdig, das könnten manche sagen. Wenn sie stundenlang auf dem Rücken im Gras liegt, im Sommer bei schönem Wetter, blauer Himmel und weisse Wolkengebilde, und sie liegt und raucht den ein oder anderen Joint und versucht, in den Wolkengebilden Geschichten zu finden. In den Wolken kann sie Gesichter oder sonstwas erkennen. Dann denkt
sie sich angenehm abgefedert eine schöne Geschichte dazu aus. Sie schreibt sie nicht auf oder so, sie träumt einfach vor sich hin. Stundenlang. Ja, manche könnten das merkwürdig finden.
Sie ist auch gern mal allein. Liest ein Buch. Oder Zeitschriften. Surft im Netz. Chattet ein wenig. Genauso gern, denke ich grade, genauso gern zieht sie mal mit Freunden um die Häuser, durch die Kneipen, gesellige Abende, Konzerte, Musik, Gespräche. Über Windeln wechseln und Läuse aus dem Kindergarten und Faulheit bei den Hausaufgaben redet sie selten, sie hat keine Kinder; sie hat zwei Patenkinder, zweieiige Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, wie heissen die? Liliane, von allen nur Lilli genannt, und Leander. Sind jetzt neun Jahre alt, Kinder ihrer Freundin, Anke. Paulchen mag die Kinder, sie spielt gern mit ihnen, sie redet gern mit ihnen. Und sie kann sie wieder zu den Eltern schicken, wenn sie ihr auf die Nerven gehn. Ich denke, das findet sie prima. -
Jetzt gerade sehe ich Paulchen faul auf der Couch liegen, es ist Sonntag, es ist Mittag, und gestern war sie mit ein paar Freunden auf einem Konzert, in der Kulturwerkstatt, EA80, eine Band, die seit den neunzehnhundertachtziger Jahren die Bühnen bespielt mit deutschem Punk. Sie hat viele alte Bekannte getroffen, viele Biere getrunken.
Jetzt also faul und verkatert auf der Couch, Kaffee, Zigarette, sie zappt durch die Fernsehkanäle.
Auf n-tv läuft ein Magazin, da wird eine Frau gezeigt und der Sprecher sagt dazu: "Dieses Model ist ein wahrer Männertraum". Und dann wird der Männertraum näher gezeigt, lange blonde Haare, ein ebenmässiges Gesicht, ein üppiger Busen, schlanker Körper, aber fraulich, gut betont durch ein knappes Kleid. Der Männertraum investiert viel Zeit mit Körperpflege, Fitness und Massagen, Hautbehandlungen und Maniküre. Der Männertraum jettet durch die Welt, erfolgreich als Model, verdient gut, und träumt von Familie und Kindern.
Paulchen ist nicht blond, sondern brünett. Sie hat frauliche Rundungen, aber die zeigt sie nicht überdeutlich her. Sie ist faul, sie treibt keinen Sport, sie fährt nichtmal Rad, sie hat ihren kleinen Ford Ka, damit macht sie selbst die kurzen Strecken. Sie geht nicht zur Maniküre. Sie jettet nicht um die Welt, Urlaub an der deutschen Ostsee oder Nordsee. Manchmal Italien. Vielleicht auch Spanien und Dänemark. Sie macht einen guten Job, aber übermässig erfolgreich ist sie nicht, und fette Kohle verdient sie auch nicht. Sie träumt auch nicht von Familie und Kindern. Sie weiss, dass sie gebärfähig ist, und will sich trotzdem nicht vermehren: Manche halten das für einen biologischen Unfall.
Ich bin kein Männertraum, lass ich Paula denken, ich bin kein Männertraum. Paula ist wieder Junggesellin, seit ein paar Jahren, seit fast fünf Jahren, sie hat insgesamt drei gescheiterte Beziehungen hinter sich, hat dreimal an sowas wie Liebe gedacht, ist dreimal an Arschlöcher geraten, ist dreimal erst geduldig gewesen und ist dann doch endlich gegangen, zuletzt hat sie ihren dritten Freund, den Markus, die Treppe runtergetreten. Seine Klamotten hinterher. Hat bis heute immer noch manchmal die Nase voll. Ich bin kein Männertraum, denkt Paulchen, ach du Scheisse. Dann fällt ihr etwas ein: Dirk, ein alter Kumpel, hatte ihr während eines Kneipenzugs mal gesagt: "Wenn wir nicht Kumpels wärn, dann würd ich denken, du bist doch glatt ne Traumfrau. Mit dir kann man um die Häuser ziehn, labern, du zickst nicht rum". Ja, das fällt ihr wieder ein, und ich lass sie denken: Manche Männer haben andere Träume. Vielleicht begegnet mir ja nochmal einer. Von wegen Glück und so. Vielleicht bin ich für irgendwen ja doch ein Männertraum. -
Ich sehe, wie Paulchen einen Joint raucht, vielleicht will sie ihren Kater damit vertreiben, jedenfalls liegt sie grinsend auf der Couch, und ich bin mir sicher, sie freut sich gerade diebisch darüber, eine biologische Katastrophe zu sein.
Ich mag aber 'Paula'. Also heisst sie Paula, und man könnte sie dann auch mal 'Paulchen' nennen, die Verkleinerungsform, weil sie körperlich nicht sehr gross ist, einsdreiundsechzig etwa, und eine männliche Form, weil sie in der Kneipe manchmal wie ein wilder Kerl den Tequila in sich rein. Und ziemlich schnell besoffen wird und dann schonmal die Treppe runter, aber das ist eine andere Geschichte.
Paula also, Paulchen. Paulchen macht einen Job in einem Bereich, indem der Frauenanteil derzeit etwa 13% beträgt. Eine Minderheit. Ein Job, mit dem viele immer noch Dinge in Verbindung bringen wie Bringdienst-Pizza und literweise Cola, viel Kaffee und viele Zigaretten. Ziemlicher Schwachsinn, in ihrem Team von zwanzig Leuten rauchen gerade mal drei, viele haben es aufgegeben. Bei ihr zu Hause liegen schonmal leere Pizzaschachteln rum, na gut. Kaffee und Zigaretten auch, ja, zuviel davon vielleicht. Aber Cola überhaupt nicht. Weinbrand nämlich nur im Kaffee, nie in Cola, und Cola pur geht gar nicht.
Eigenbrötlerisch und freakig, wie man das Leuten ihrer Branche nachsagt, ist sie nicht wirklich, vielleicht ein wenig seltsam, etwas komisch, etwas merkwürdig, das könnten manche sagen. Wenn sie stundenlang auf dem Rücken im Gras liegt, im Sommer bei schönem Wetter, blauer Himmel und weisse Wolkengebilde, und sie liegt und raucht den ein oder anderen Joint und versucht, in den Wolkengebilden Geschichten zu finden. In den Wolken kann sie Gesichter oder sonstwas erkennen. Dann denkt
sie sich angenehm abgefedert eine schöne Geschichte dazu aus. Sie schreibt sie nicht auf oder so, sie träumt einfach vor sich hin. Stundenlang. Ja, manche könnten das merkwürdig finden.
Sie ist auch gern mal allein. Liest ein Buch. Oder Zeitschriften. Surft im Netz. Chattet ein wenig. Genauso gern, denke ich grade, genauso gern zieht sie mal mit Freunden um die Häuser, durch die Kneipen, gesellige Abende, Konzerte, Musik, Gespräche. Über Windeln wechseln und Läuse aus dem Kindergarten und Faulheit bei den Hausaufgaben redet sie selten, sie hat keine Kinder; sie hat zwei Patenkinder, zweieiige Zwillinge, ein Junge und ein Mädchen, wie heissen die? Liliane, von allen nur Lilli genannt, und Leander. Sind jetzt neun Jahre alt, Kinder ihrer Freundin, Anke. Paulchen mag die Kinder, sie spielt gern mit ihnen, sie redet gern mit ihnen. Und sie kann sie wieder zu den Eltern schicken, wenn sie ihr auf die Nerven gehn. Ich denke, das findet sie prima. -
Jetzt gerade sehe ich Paulchen faul auf der Couch liegen, es ist Sonntag, es ist Mittag, und gestern war sie mit ein paar Freunden auf einem Konzert, in der Kulturwerkstatt, EA80, eine Band, die seit den neunzehnhundertachtziger Jahren die Bühnen bespielt mit deutschem Punk. Sie hat viele alte Bekannte getroffen, viele Biere getrunken.
Jetzt also faul und verkatert auf der Couch, Kaffee, Zigarette, sie zappt durch die Fernsehkanäle.
Auf n-tv läuft ein Magazin, da wird eine Frau gezeigt und der Sprecher sagt dazu: "Dieses Model ist ein wahrer Männertraum". Und dann wird der Männertraum näher gezeigt, lange blonde Haare, ein ebenmässiges Gesicht, ein üppiger Busen, schlanker Körper, aber fraulich, gut betont durch ein knappes Kleid. Der Männertraum investiert viel Zeit mit Körperpflege, Fitness und Massagen, Hautbehandlungen und Maniküre. Der Männertraum jettet durch die Welt, erfolgreich als Model, verdient gut, und träumt von Familie und Kindern.
Paulchen ist nicht blond, sondern brünett. Sie hat frauliche Rundungen, aber die zeigt sie nicht überdeutlich her. Sie ist faul, sie treibt keinen Sport, sie fährt nichtmal Rad, sie hat ihren kleinen Ford Ka, damit macht sie selbst die kurzen Strecken. Sie geht nicht zur Maniküre. Sie jettet nicht um die Welt, Urlaub an der deutschen Ostsee oder Nordsee. Manchmal Italien. Vielleicht auch Spanien und Dänemark. Sie macht einen guten Job, aber übermässig erfolgreich ist sie nicht, und fette Kohle verdient sie auch nicht. Sie träumt auch nicht von Familie und Kindern. Sie weiss, dass sie gebärfähig ist, und will sich trotzdem nicht vermehren: Manche halten das für einen biologischen Unfall.
Ich bin kein Männertraum, lass ich Paula denken, ich bin kein Männertraum. Paula ist wieder Junggesellin, seit ein paar Jahren, seit fast fünf Jahren, sie hat insgesamt drei gescheiterte Beziehungen hinter sich, hat dreimal an sowas wie Liebe gedacht, ist dreimal an Arschlöcher geraten, ist dreimal erst geduldig gewesen und ist dann doch endlich gegangen, zuletzt hat sie ihren dritten Freund, den Markus, die Treppe runtergetreten. Seine Klamotten hinterher. Hat bis heute immer noch manchmal die Nase voll. Ich bin kein Männertraum, denkt Paulchen, ach du Scheisse. Dann fällt ihr etwas ein: Dirk, ein alter Kumpel, hatte ihr während eines Kneipenzugs mal gesagt: "Wenn wir nicht Kumpels wärn, dann würd ich denken, du bist doch glatt ne Traumfrau. Mit dir kann man um die Häuser ziehn, labern, du zickst nicht rum". Ja, das fällt ihr wieder ein, und ich lass sie denken: Manche Männer haben andere Träume. Vielleicht begegnet mir ja nochmal einer. Von wegen Glück und so. Vielleicht bin ich für irgendwen ja doch ein Männertraum. -
Ich sehe, wie Paulchen einen Joint raucht, vielleicht will sie ihren Kater damit vertreiben, jedenfalls liegt sie grinsend auf der Couch, und ich bin mir sicher, sie freut sich gerade diebisch darüber, eine biologische Katastrophe zu sein.
monehartman - 29. Mär, 14:11